Arm in Berlin - was können wir tun?
Bernd Backhaus, Leiter der Suppenküche der Franziskaner Angela Kröll
Der Ort war passend gewählt: die Suppenküche der Franziskaner in Berlin-Pankow. "Bei uns werden täglich 200 Menschen gesättigt", sagte deren Leiter Bernd Backhaus. "Das könnte ein guter Nährboden sein für dieses Gespräch." Noch könne die Suppenküche alle, die dorthin kommen, satt kriegen. Aber ob das am Ende des Winters immer noch möglich sein wird? Die Frage ist für Bernd Backhaus offen.
Rita Kampe von der allgemeinen unabhängigen Sozialberatung Berlin berichtete, dass viele Menschen immer stärker und dass weitere soziale Schichten von Armut betroffen seien. "Vor allem seit der Pandemie kommen auch Menschen zu uns, die vorher keine Hilfe brauchten wie etwa Selbstständige und Studierende", sagte sie. " Bei vielen herrschen Panik und Ohnmacht. Früher waren oft die letzten Tage knirsch. Jetzt ist oft schon Mitte des Monats nichts mehr da." Eine Frau habe ihr berichtet, dass sie sich nur noch von Brot und Margarine ernähren könne.
Rita Kampe von der "Allgemeinen Unabhängigen Sozialberatung Berlin" Angela Kröll
Rita Kampe forderte deshalb, die allgemeine unabhängige Sozialberatung auszuweiten sowie eine bessere Zusammenarbeit mit den städtischen Ämtern. "Ich würde mir wünschen, dass uns die Behörden mehr als Partner sehen und weniger als Gegner."
Die Caritas wollte bewusst nicht nur über, sondern auch mit armen Menschen in Berlin sprechen und hatte deshalb auch Mario Schubring von der Bewegung "#IchBinArmutsBetroffen" und Michael Stiefel vom Armutsnetzwerk e.V. Berlin eingeladen. Schubring kritisierte das dritte Entlastungspaket der Bundesregierung scharf. "Empfänger von Sozialleistungen nach dem SGB2 und SGB8 sowie nach dem Asylbewerberleistungsgesetz kriegen davon nichts ab", sagte er. "Viele Menschen, die ich kenne, sind ängstlich und wütend." Diesem Unmut will das Armutsnetzwerk mit einer großen Protestdemonstration in Berlin Ausdruck verleihen. Sie ist für Mitte Oktober geplant.
Sozialsenatorin Katja Kipping befürchtet eine Armutsspirale. Angela Kröll
Sozialsenatorin Katja Kipping hat dafür Verständnis: "Ich nehme wahr, dass es eine große Sorge vor dem Winter gibt. Wir stehen möglicherweise vor einem langen Winter der Energiearmut. Das wird vor allem die treffen, die ohnehin nichts haben, aber womöglich auch neue Gruppen." Katja Kipping befürchtet deshalb eine Armutsspirale.
Hinzu komme die verdeckte Armut. Viele Menschen schämten sich, ihre Bedürftigkeit offen einzugestehen, sagte die Direktorin des Caritasverbandes für das Erzbistum Berlin Ulrike Kostka.
Deshalb müsse man jetzt gegensteuern. Das oberste Gebot, so die Sozialsenatorin: Es dürfe keinen Leistungsabbruch geben. Außerdem müsse man Bedürftige besser informieren. 40 Prozent von ihnen nähmen ihre Ansprüche auf Sozialleistungen nämlich nicht wahr - entweder aus Scham oder aus Unwissenheit.
Caritasdirektorin Ulrike Kostka und Katja Kipping, Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales in BerlinAngela Kröll
"Wichtig ist jetzt zu wissen, welche Hilfen funktionieren und welche nicht," meinte die Caritas-Direktorin. Sie forderte ein Sozialmonitoring, um die aktuelle Armutsentwicklung besser einschätzen zu können: "Wir brauchen eine Armutskonferenz mit den Wohlfahrtsverbänden." Die Sozialsenatorin meinte dagegen: "Wir haben gar nicht so ein starkes Erkenntnisproblem. Wir haben ein Durchsetzungsproblem." Ulrike Kostka schlug deshalb auch ein Sozialcontrolling vor, um Fragen wie diese zu klären: "Was ist wichtig für arme Menschen? Was läuft gut, was läuft schlecht, etwa bei der Antragsstellung bei Ämtern? Wie erreichen wir Menschen, die nicht zum Amt gehen?"
Ulrike Kostka befürchtet, dass nicht nur der nächste Winter problematisch wird, sondern die nächsten zwei Jahre schwierig werden: z.B. durch Preiserhöhungen und Nachzahlungen von Nebenkosten für Heizung und Strom. Auch für sie ist das Entlastungspaket eine Enttäuschung an einigen Stellen: etwa wenn es um Menschen mit niedrigem Einkommen geht wie etwa Pflegekräfte und Busfahrer.
Ein Selfie zur Erinnerung: "Stromspar-Checker" Sven Schoß mit Katja Kipping und Ulrike Kostka Angela Kröll
Sven Schoß, Koordinator beim Caritas Stromspar-Check, macht die Not und Angst der Menschen vor hohen Stromkosten am Beratungsbedarf fest: "Wir haben einen Zuwachs von 20 Prozent. Es geht durch die Decke."
Die ehemalige Sprecherin der Nationalen Armutskonferenz Barbara Eschen warnte davor, diejenigen, die schon lange von Armut betroffen sind und die, die neu hinzukommen, gegeneinander auszuspielen. Caritas-Direktorin Ulrike Kostka betonte, es sei ein Kriegsziel des russischen Staatschefs Vladimir Putin, die westlichen Gesellschaften durch die Krise ins Wanken zu bringen. Wir müssten uns deshalb fragen, wie wir neue Solidarität und neue Gerechtigkeit schaffen könnten. "Wir als Caritas werden alles dafür tun", versprach sie.
Sozialsenatorin Katja Kipping will den Zusammenhalt in der Stadt stärken durch ein Netzwerk der Wärme. Dieses soll dafür sorgen, dass Menschen zusammenkommen, sich austauschen und einander Halt geben.
Sie will dafür alte und neue Anlaufstellen gewinnen - etwa Theaterkantinen, Seniorenbegegnungsstätten, Pausenräume von Start-ups und Handwerksbetrieben sowie Werkstätten von Menschen mit Behinderung. Ihr Ziel sei es, dass die Menschen danach sagen könnten: "Dies war nicht nur der Winter, in dem wir gefroren haben, sondern auch der, in dem wir zusammengerückt sind." Die aktuellen Herausforderungen seien zwar enorm, aber "mein Grundgefühl ist, das kriegen wir hin", meinte sie.
Auch die Caritas-Direktorin Ulrike Kostka machte Mut, trotz aller Unwägbarkeiten und Schwierigkeiten. Zugleich forderte sie: "Wir dürfen uns nicht an der Energiekrise abarbeiten, sondern müssen an die Ursachen und Strukturen von Armut ran." Die aktuelle Krise dürfe nicht zu gesellschaftlicher Spaltung führen.
Text: Carmen Gräf